Obwohl die Vorhänge zugezogen waren, wurden wir durch gleißendes Licht schon recht früh Morgens wach. Die noch tief stehende Sonne schien bei klarem blauen Himmel durch das einzige nicht abdunkelbare Fenster in der Campertür direkt in unsere Gesichter. Der Wetterbericht von gestern Abend scheint also zu stimmen. Noch etwas steif – auch wegen der noch ungewohnten Betten – fangen wir an, uns ein Frühstück zuzubereiten. Nachdem wir uns köstlich und reichhaltig aus dem Einkauf des Vortags bedient hatten, stellen wir fest, dass mehr als zwei Stunden dabei vergangen sind. Obwohl der Camper von außen wuchtig wirkt, ist das hantieren bei den doch recht kleinen und engen Arbeitsflächen viel zeitaufwendiger als tatsächlich empfunden. Andauernd muss man Gegenstände aus dem Weg räumen, die später wieder zurück geräumt werden müssen. Das beschränkte Raumangebot rächt sich. Folglich beschließen wir das Zelebrieren eines reichhaltigen Frühstücks für den Rest des Urlaubs zu streichen. „Wir wollen ja was von der Landschaft sehen“! Doch da auf diesem Campingplatz die Duschen im Übernachtungspreis inklusive sind, nutzen wir das Angebot. Soviel zu konsequenter Handlungsweise und Setzen von Prioritäten.
Es geht endlich wieder weiter. Nachdem wir in Hella noch den Tank unserer Ramme (wie ich den Dodge-RAM inzwischen nenne) befüllt haben, geht es auf der 1 weiter nach Süd-Osten. Die erste Abzweigung auf die 264 lassen wir aus, um ein paar KM weiter – bei der Zweiten – Richtung Keldur nach links abzubiegen. Vor Ort verzichten wir auf den Besuch des historischen Bauernhofs. Die etwas gereizte Stimmung wegen dem verschleppten Aufbruch wirkt noch nach. Obwohl noch als sonnig zu bezeichnen, bilden sich immer mehr einzelne Wolken am Himmel.
Wir folgen der 264 nun weiter nach Nord-Westen bis wir auf die 268 nach Norden-Osten abbiegen. Auf der rechten Seite rückt die Hekla immer mehr ins Blickfeld. Wobei sie ihren Gipfel heute verschämt in eine Wolke hüllt. Der Blick nach vorne ist aber auch grandios, denn am Horizont wächst die markante Südansicht des Búrfell mit jedem Kilometer mehr und mehr an.
Inzwischen ist die Stimmung wieder in Euphorie umgeschlagen. Der etwas holprige Start in den Tag wurde von dem Wetter, der Lichtstimmung mit dem Schattenwurf der Wolken in der Landschaft und der grandiosen Kulisse welche die Hekla bietet mehr als wettgemacht. Wir fahren die 268 weiter entlang eines Lavafeldes. Die Straße wird holpriger, die Kurven enger und wir kommen über einen kleinen Hügeldurchstich direkt auf eine einspurige Holzbrücke und treten sofort auf das Bremspedal. Was ein schnuckeliger, klarer Bach da unten drunter durch fließt. Sofort wird mit schwerem Kamerageschütz die Szenerie, die in Sichtweite der minütlich befahrenen 26 (später: F26 – Sprengisandsleið) liegt, in von anderen Touristen verschonter Einsamkeit eingefangen.
Nach reichlich verbrachter Zeit an der Ytri Rangá, deren Namen ich erst beim Schreiben dieses Berichts aus einer Karte entnehme, fahren wir über die 26 weiter nach Norden. Als mittlerweile der Brúfell links von uns liegt, kommt sie völlig überraschend. Wer? Was? Na, die Landmannaleið (oder auch F225). So schnell lässt sich die Ramme nicht abbremsen, also erst mal die nächste gefahrlose Möglichkeit zur Fahrzeug-Wende finden. Eine Minute später stehen wir ehrfurchtsvoll vor einer großen 4×4-Wege Erklärbär-Tafel, die wie wir später feststellen in ganz Island strategisch positioniert sind. Unser Vermieter sagte uns, dass wir bis zur oberen Felgenkante durch Wasser fahren könnten, wenn wir uns langsam aber stetig, mit aktivierter 4×4 Getriebe-Untersetzung bewegen. Ich hoffe er hat etwas Sicherheitshöhe mit eingerechnet. Für eventuell auftretende Schäden würden wir aber trotzdem haften.
Doch bevor es auf die erste F-Straße meines Lebens geht, wird die weite dunkel graue grandiose Landschaft, in der wir uns bei der Abzweigung auf die F225 befinden, noch für die Erinnerung festgehalten. Wir starten! Und fahren durch eine Lava- und Sandwüste. Links und rechts gibt es unzählige Felsformationen zu bewundern und die Straße windet sich langsam aber merklich bergauf. Es fällt uns schwer nicht alle hundert Meter anzuhalten um die Szenerie abzulichten. Ich vertröste meine beiden Mitreisenden mit der Aussage „es gibt halt auch Dinge, die man vor Ort gesehen haben sollte, sonst kann man ja gleich nur Reiseberichte lesen, statt zu verreisen“. Als dann an einer Straßenbiegung die ersten grün-schwarzen Berge sichtbar werden, gibt es kein Halten mehr und wir halten. Das grüne Moos wird von den Sonnenstrahlen auf den schwarzen Hängen zum leuchten gebracht. Die Hekla gewährt uns einen Blick zum Gipfel und der immer grauer werdende Himmel verleiht den Anblicken die steigernde Dramatik. Zum ersten mal auf dieser Reise fühle ich die Islandinfektion körperlich.
Doch die Zeit schreitet voran. Aus der mit Reiseplanung verbrachten Zeit weiß ich, dass noch viel mehr gnadenlose Ausblicke auf dem Weg nach Landmannalaugar anstehen. Wir fahren schon eine Weile durch ein grünes Tal an einem Fluss entlang, als sich uns die Rauðufossakvísl in den Weg stellt. Da ist sie nun, die erste Furt. Was hat das Kopfkino bei der Planung der Reise schon für schaurige Gedanken gesorgt. Und jetzt sieht das nicht mal sonderlich bedrohlich aus. Natürlich erst mal anhalten. Aber es herrscht ja fast so was wie „rush hour“ und diverse andere KFZ (incl. einem PKW!) rasen durch den Bach. Das Wasser reicht gerade mal bis zur Unterkante der Felge während ich bedächtig meine erste Furt passiere. Ich fühle mich wie frisch getauft. Wohl wissend wie lächerlich unproblematisch das gerade war, komme ich in einem neuen Lebensabschnitt an, dem nach der „Furt“. Vor lauter Anspannung hat dabei keiner von uns daran gedacht diesen „denkwürdigen“ Moment digital zu verewigen. Also wird er für immer eine Quelle für Reiseanekdoten bleiben.
Die beiden nächsten Furten sind der Witz. Ob es den niederschlagsarmen Tagen davor anzulasten ist oder ob die immer so problemlos sind, kann und will ich nicht beurteilen. Trotz der bisher problemlosen Fluss Durchfahrten nehme ich mir vor, nicht größenwahnsinnig zu werden und jede weitere mit der gebührenden Vorsicht zu passieren – oder eben auch nicht.
In der Zwischenzeit wurden wir auch von oben nass. Als wir durch einen Geländeausschnitt den Frostastaðavatn zum ersten mal bewusst erblicken, freue ich mich schon auf den nächsten – schon vor Monaten fest eingeplanten – Fotostopp. Die F225 ist schon in der F208 gemündet, wenn die Straße in einer engen Kurve über den Bergrücken ins Tal von Landmannalaugar führt. An genau dieser Stelle befindet sich auch eine Haltemöglichkeit. Ein paar Höhenmeter den Wanderweg auf den Frostastaðaháls (im Kartenbezeichnungen wiedergeben bin ich gut) hinauf und wieder blickt man staunend um sich.
Zum Glück war der Regenschauer von kurzer Dauer. Die letzten Sonnenstrahlen des Tages streifen durch Wolkenlücken punktuell die Landschaft und lenken die Blicke auf die Details der berauschenden Natur. Die Fotografenherzen pochen vor Entzückung und die Spiegel der Reflex-Kameras klicken im Sekundentakt. Und ich ernte ein dickes Lob von meinem Freund für die gut geplante Dramaturgie des Tages.
Die kurze Reststrecke bis nach Landmannalaugar nehmen wir schon fast gar nicht mehr wahr. Zu groß ist die Reizüberflutung durch die uns umgebende Landschaft. Erst als wir vor der ersten der beiden „berüchtigten“ Furten kurz die Lage checken und dann beruhigt die erste und die zweite durchfahren, realisieren wir die Magie des Ortes. Wir stellen den Camper mit gebührendem Abstand neben einen seiner Brüder vom selben Vermieter. Der Rest des Abends vergeht in Euphorie schwelgen beim Abendessen und der Vorfreude auf das für morgen angesagte gute Wetter. Abgesehen von dem Verzicht auf die Keldur Besichtigung scheint meine Tagesetappenplanung eine gewisse Stimmigkeit aufzuweisen.