Farbenfreude

Buntes wohin das Auge sieht

Wenn es nach unserem Reiseplan gegangen wäre, dann wären wir am Campingplatz von Husavík aufgestanden und wir hätten die Entscheidung fällen müssen, ob wir Wale beobachten oder den zweiten Besuch des Dettifoss (von der anderen) Seite in Angriff nehmen. Aber das gestrige schlechte Wetter hat uns davon abgehalten, vom Dettifoss aus, weiter nach Norden zu fahren. Also beginnen wir den heutigen Tag bei sonnigen Wetter auf einem Hügel mit einem wundervollen Blick über den Campingplatz am Lavafeld und Reykjahlíð im Vordergrund und dem Mývatn im Hintergrund.

Inzwischen ist die Camper bedingte Morgenprozedur halbwegs eingespielt und wir kommen zügig voran. Als erstes steuern wir unsere Ramme wieder ein Stück zurück nach Osten über den Námafjall um das gestern ausgelassene Hochtemperaturgebiet Hverarönd zu erreichen.

An sonnigen Tagen ist das Licht Vormittags bestens geeignet die bunten Farben des blubbernden und dampfenden Bodens intensiv hervortreten zu lassen.

Natürlich sind wir nicht die Einzigen hier, denn so eine Attraktion – verkehrsgünstig an der Ringstraße gelegen – sorgt dafür, dass die Touristen mit den größten möglichen Bussen herbeigeschafft werden. Damit die Menschen den Bus-Fußboden bei ihrer Rückkehr nicht verschmutzen, werden sie mit Plastiktüten-Schuh-Überziehern ausgestattet, was zu peinlich berührten bis zu derben Witze reißenden Kommentaren der Betroffenen führt. Wenn mal wieder eine Bushorde an einem Vorbei zieht (an den Schuhüberziehern leicht auszumachen) muss man warten bis die meisten Menschen den gewünschten Bildausschnitt nicht mehr unnötig stören. Dadurch bekommt das selbst gewählte Individual-Reise-Feeling so seine Risse.

Aber auch in dem Boden hat es Risse, Furchen und Löcher, aus denen es mal dumpf gluckernd und Blasen werfend brodelt oder heiß zischenden Dampf heraus presst. Geruchs-empfindliche Nasen haben einen schwere Prüfung vor sich, denn der faule Eier Gestank ist hier allgegenwärtig. Und so versucht man sich immer so hinzustellen, dass der Wind die Dämpfe von einem weg statt auf einen zu weht.

Mit zunehmender Tageszeit steigt leider auch die Flut der ankommenden Busse. Also beschließen wir das nächste Ziel zu erreichen. Es geht wieder zurück über den Námafjall und bald links rein in ein Lavafeld bis wir auf der rechten Seite in einen kleinen Parkplatz einfahren. Wir befinden uns laut aufgestelltem Schild auf Privatgelände und sollen nicht in das angeblich zu heiße Wasser von John Snows und Ygrittes Liebesgrotte begeben. Obwohl für Game of Thrones Fans interessant, ist leider auch dieses Kleinod zu stark frequentiert. Trotzdem gelingt mir ein ansehnliches Bild des bläulich schimmernden Wassers in der Grotte. Wegen den schmalen Zugängen lässt sich aber auch unangenehmes menschliches Verhalten besonders gut beobachten. Es gibt da eine Gattung Menschen, die denken sie wären privilegierter als Andere und drängen sich rücksichtslos in den engen Innenraum. Als die Selfie-Kamera ins heiße Wasser fällt, fällt es schwer etwas Bedauern zu heucheln, während innerlich die Schadenfreude brüllend einen Freudentanz vorführt.

Nach dem eher kurzen Intermezzo an den Grjótagjár geht es die gleichnamige Straße weiter, bis wir wieder am Mývatn ankommen. Dort noch ein paar Kurven nach Süden und schon wieder sollte man nach links abbiegen. Wenn man Glück hat bekommt man auch noch einen Parkplatz in der Nähe des Zugangs zu Dimmuborgir.

Aber wenn man nicht wie die meisten Bus und Kreuzfahrttouristen zuerst das örtliche Kaffi und den einfachen asphaltierten Rundweg, sondern die größere Variante wählt, dann findet man sich um diese Jahreszeit (Anfang September) in einer erstaunlich farbenfrohen Landschaft voller bizarrer Steingebilde wieder.

Durch ein Felstor führt ein abzweigender Wanderweg zum Hverfjall, welches wir hier von der südwestlichen Seite zu sehen bekommen.

Auch wenn es sich in meinem Fotografie Bekanntenkreis eingebürgert hat, etwas abfällig „ahhhh, ein Blüüüümschen“ zu äußern, besteht der Reiz der Landschaft hier vorwiegend aus der wahnsinnig bunt gefärbten Vegetation.

Am Wendepunkt des großen Rundwegs kommt man noch durch diesen markanten Lavatunnel und wieder fühlt man einen neuen Schub der Islandvirus Infektion.

Bevor unser Rundweg, den wir mit nur sehr wenigen weiteren Island-Besuchern genossen haben, wieder in die Kreuzfahrer überrannte Wegschleife einmündet, kann man von einem Felsvorsprung noch einen malerischen Blick auf den Mývatn genießen, dessen genauere Betrachtung das nächste Tagesziel sein wird.

Dazu halten ebenso nur wenige Kurven der Straße 848 weiter südlich bei der bewaldeten Halbinsel Höfði. Ein wunderbares Wegnetz führt den Wanderer zu höher gelegenen Aussichtspunkten und an das Ufer des Sees, zu den Stellen wo diverse Lava-Säulen aus dem Wasser ragen.

Das wegen der Horrorgeschichten über in alle Körperöffnungen eindringende Mücken mitgebrachte Netz kommt heute aber nicht zum Einsatz und ich muss mir von meinen beiden Reisebegleitern Häme gefallen lassen, was ein Weichei ich doch wäre. Nun gut hoffentlich werden wir auch irgendwann mal erleben, dass so ein Netz sinnvoll sein kann. Mit ein paar weiteren Fotos vom Mückensee ohne Mücken verabschieden wir uns für heute aus dieser wundervollen Landschaft.

Das leider nur für heute als gut vorhergesagte Wetter will genutzt werden und wir entscheidend uns, dem Dettifoss nochmal einen Besuch zuteil werden zu lassen. Über die mittlerweile asphaltierte westliche Zufahrt mit busgerechtem Besucherparkplatz erreichen wir wieder die Jökulsá á Fjöllum. Es ist schon relativ später Nachmittag und die organisierten Besucherströme scheinen schon durch zu sein.

Es macht Spaß den erst gestern bei trübem Licht bestaunten Wasserfall in einer ganz anderen Lichtstimmung zu betrachten. Als die Sonne kurz vor dem Untergang flaches Licht schickt, zaubert sie in die feine Gischt des Wasserfalls einen hübschen Regenbogen.

Im warmen Abendlicht der nicht Wolken-verhangenen Landschaft kann man durch ein ehemaliges Flussbett der Jökulsá über den Wassernebel des Selfoss bis zum ca. 70 Kilometer entfernten Herðubreið sehen.

Bei der Rückfahrt zum Mývatn halten wir an einem auf einer Anhöhe angelegtem Parkplatz der neu ausgebauten 862 und genießen den farbenfrohen Sonnenuntergang in der Heidelandschaft, die sich ebenfalls ein gelbliches und rötliches Herbstkleid zugelegt hat.

Nach diesem wunderbar buntem Tag, sind wir schon etwas besorgt über den morgigen Wetterbericht. Von Süden zieht ein dichtes Regenfeld mit Sturm heran. Einzig ganz im Norden an der Küste könnte es am morgigen Vormittag noch etwas ruhiger bleiben. Also entscheiden wir uns den eigentlich für heute geplanten Husavík Tag auf morgen zu verlegen und fahren durch Reykjahlíð weiter und über die 87 Richtung Ziel. Als wir die Kuppen der Geländewellen des Hólasandur überqueren beschert uns Islands Natur noch einmal mit einem Gänsehautmoment: vom letzten Tageslicht erhellte Boden-Nebelschwaden.