Umsturz

Von grandios nach deprimierend

Wir sind natürlich nicht früh ins Bett. Andy hat durch die beiden letzten Nordlichtnächte eine richtige „Besessenheit“ entwickelt. Nach dem grandiosen Sonnenuntergang wurden die Wolken am Himmel weniger und jeder dritte Handgriff beim Abendessen war der Blick aus dem Camper, ob schon etwas am Himmel zu sehen ist. Und so kam es, wie es kommen musste. Ein leichtes grünliches Glühen erspäht und wir standen mit den Stativen am Ufer der Gletscherlagune.

Kurzzeitiges Aufflackern von ein paar Nordlichtern war erkennbar, aber eine mit der gestrigen Nacht vergleichbare Show stellte sich einfach nicht ein. Dabei hätte sie vor der Kulisse des Jökulsárlón so wahnsinnig gut gepasst. Anfangs ein paar etwas hellere Streifen, aber sonst nur ein leichtes grünliches glimmen auf niedrigem Niveau. Trotzdem wollte man die Hoffnung nicht aufgeben. Die in den Bildern aufkommende Langeweile, versuchte man zu kompensieren, indem mit Hilfe von Stirn- und Taschenlampen die Eisschollen beleuchtet wurden.

Allerdings verlor ich dann doch die Geduld und begab mich ins Bett. Schließlich war fest eingeplant noch vor dem Sonnenaufgang (um ca. 5:45 Uhr) wieder am Eisbrockenstrand in der Nähe der Jökulsá-Mündung die hoffentlich besondere Lichtstimmung einzufangen. Tapfer die Grausamkeit ertragend, nach nur drei Stunden Schlaf aufzustehen, schleppte ich mich samt Fotoausrüstung und Stativ an den Strand. Leider waren ein dutzend nervender Japaner auf die gleiche Idee gekommen. Obwohl ich gleich einen gebührenden Abstand zwischen mich und die anderen Anwesenden gebracht hatte, muss wohl meine Motiv-Auswahl die „bessere“ gewesen sein, denn keine 5 Minuten später war ich umstellt.

Die Wellen des Atlantik spülen, die in den Ozean abgetriebenen Eisberge zerkleinert zurück auf den Strand. Die glühen dann förmlich, im warmen Licht der aufgehenden und tief stehenden Sonne. Es ist wieder einer dieser Island Momente, die jede in Kauf genommene Anstrengung vergessen lassen.

 

Doch mit zunehmend aufsteigender Sonne werden die Farben blasser. Einzig die immer mal wieder überraschend weit auf den Strand brandenden Wellen verleihen dem ganzen einen Nervenkitzel. Die dabei real existierenden Gefahren durch die Strömung sind mir bewusst und mein Handeln richtete sich auch danach.

 

Als das morgendliche Licht vorbei war, begebe ich mich zurück zum Parkplatz bei der Lagune und wecke unseren Langschläfer Michi. Wir testen als Frühstück zum ersten mal den gestern gekauften Skyr und sind sofort begeistert. So ein 500gr Becher macht zwei erwachsene Menschen satt und ist super lecker. Kurz darauf findet die noch kurzfristig gebuchte Amphibien-Bootsfahrt auf dem Jökulsárlón statt. Man kommt zwar etwas näher an einige der Eisberge heran, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass die Gier der Veranstalter größer als die Gegenleistung ist. Immerhin ist es überraschend zu sehen, wie das „Zebra“ von gestern Abend, von der dem Ufer abgewandten Seite aussieht.

Das Eis welches sich am Abfluss der Lagune versammelt hat, bietet heute einen vollständig anderen Anblick als gestern. Zudem scheint die Sonne und sorgt für stärkere Kontraste als gestern Nachmittag. Folglich wird wieder fotografiert und fotografiert, aber mich beginnt das zu langweilen, denn die gerade entstehenden Bilder können nicht mit jenen während des Sonnenaufgangs mithalten. Vermutlich ist auch die Tatsache, dass ich unausgeschlafen bin, mit Schuld an meiner Kreativlosigkeit.

Eigentlich wollte ich nach dem Frühstück dem Reiseplan folgen, aber Michi will unbedingt auch den Eisstrand besuchen. Ich bin erstaunt wie schnell sich die Szenerie dort durch Ebbe und Flut verändern kann.

Lagen zum Sonnenaufgang bei Flut vorwiegend kleine Eisbrocken herum, waren jetzt bei Ebbe die Eisberge so groß, dass die vielen Touristen wie in einem Labyrinth versteck spielen konnten. Zudem fühlte ich mich wie auf dem Rummelplatz, so viele Menschen bewunderten den wahrlich ungewöhnlichen Strand. Doch in Erinnerung an den Anblick bei Sonnenaufgang gebe ich auf und verziehe mich müde in unsere „Ramme“ und versuche ein Nickerchen zu halten. Das gelingt mir leider nur unzureichend, trotzdem vergehen so gefühlt ein paar Stunden, die meine Freunde am Eisstrand für ihre Fotos verbrauchen.

Es geht weiter auf der Ringstraße nach Osten. Den geplanten Abstecher auf die F985 verschieben wir auf eine zukünftige Islandreise und fahren bis Höfn durch. Dort erledigen wir (es ist ja Samstag) noch schnell eine Proviant Nachrüstung (vor allem viele unterschiedliche Sorten Skyr). Da wir die letzten beiden Übernachtungen ohne zu Duschen hinter uns brachten, beschließen wir das im Reiseführer als besonders modern und schön angepriesene Höfner Bad zu besuchen. Wir erleben erneut eine für Island typische Eigenart, als wir den erstaunlich günstigen Eintrittspreis bezahlen und über die – für uns selbstverständliche – Duschpflicht vor betreten der Badebecken aufgeklärt werden. Im Freibad selber begeben wir uns in die warmen Becken und liegen beinahe einschlafend im wohlig warmen Wasser und lassen die Seele baumeln. Es fällt uns schwer das Bad zu verlassen, aber wir werden vom Personal dazu aufgefordert, weil es in den verdienten Feierabend gehen will.

Eigentlich wollten wir am Campingplatz von Höfn übernachten. Doch der Wetterbericht für morgen sah grauenvoll aus. Und das nächste Ziel würde erneut frühes Aufstehen zum Sonnenaufgang erfordern. Zudem haben wir Berichte gelesen, dass der Zugang nach Stokksnes nicht kostenlos ist. Um eigene Gewissheit zu haben und mögliche Probleme lösen zu können, beschließen wir hin zu fahren. Immerhin scheint noch die Sonne, was die Chance auf einen Sonnenuntergang eröffnet. Auf dem Weg dahin sehen wir, wie die Wolken im warmen Abendlicht durch das Skarðsdalur auf die Südwestseite der Bergkette gedrückt werden.

Kurz bevor die Ringstraße nach Osten in den Tunnel führt, zweigt einen Schotterweg rechts ab. Wir erreichen eine Schranke und eine Kneipe. Und stehen jedoch vor verschlossener Tür und dem Hinweisschild, dass die Zufahrt nach Stokksnes 1000 ISK pro Person kostet. Sie ist allerdings enthalten, wenn man auf dem etwas dürftig ausgestatteten Campingplatz für 1300 ISK pro Person übernachtet. Nur mit dem Bezahlen ist es etwas schwierig. Ein Automat, der das ermöglichen würde ist zwar vorhanden, funktioniert aber nicht. Offensichtlich funktioniert aber eine von uns nicht bemerkte Überwachungskamera, denn keine drei Minuten später steht der Grundbesitzer neben uns und beklagt sich über die vielen Touristen, die einfach ohne zu bezahlen trotzdem an der Schranke vorbei fahren. Da wir frisch gebadet, müde und mit dem Camper relativ unabhängig sind, nehmen wir das Campingangebot an und fahren gleich los, den weltberühmten Blick auf das Vesturhorn zu erleben.

Über den etwa einen Kilometer langen Damm durch die Lagune erreichen wir einen Parkplatz kurz vor dem Tor zum (vermutlich militärischen) Sperrgebiet bei den schwarzen „Büscheldünen“. Die bedrohlichen Wolken ziehen mittlerweile schon vor die erhabene Bergkette und die Sonne ist leider schon – aber auch unspektakulär – untergegangen. Der Wind weht auch schon ziemlich stark und immer mehr Wolken ziehen von Osten vor die Berggipfel. Schnell versuchen wir noch ein paar Fotos zu erhalten, die wegen dem wenigen Restlicht in der Dämmerung jetzt ein Stativ benötigen. Die Szenerie erfordert wieder mein Superweitwinkel-Objektiv. Es gelingen mir ein paar Bilder, aber nichts was mir entzücken bereiten würde. Da das Licht immer schlechter wird, kehre ich zum Auto zurück und stelle das Stativ mit Kamera und Objektiv ab. Ich entferne mich kurz vom Auto um einen anderes Blickfeld für das Motiv zu erkunden, als es hinter mir ein heftigen Schlag lässt. Die Kamera samt Objektiv und Stativ liegt wieder vom Wind umgeweht auf dem Boden. Ich befürchte eine Katastrophe und bin froh, dass das Kameradisplay noch ganz ist und keinen einzigen Kratzer abbekommen hat. Der Stativ-Befestigungsknopf hat verhindert, dass das Kameragehäuse direkt auf die herumliegenden kantigen Steine aufgeschlagen hat. Ich will erleichtert aufatmen, als ich feststelle, dass das Objektiv leicht schräg von der Kamera weg hängt. Eine innere Befestigung muss gebrochen sein und nur der Fokusring hält zwei „Hälften“ der Linse noch irgendwie zusammen. Ein kurzer Funktionstest offenbart, dass kein scharfes Foto mehr zu erzielen ist. Aber immerhin das Kameragehäuse funktioniert noch. Es ist das selbe Objektiv, welches schon ein paar Tage vorher beim Fagrifoss einer unsanften Behandlung unterzogen wurde. Dabei ist es gefühlt die wichtigste Linse für diese Reise. Für den Stokksnes-Blick ist es ein Muss.

Ich bin schlagartig deprimiert und will nur noch meine Ruhe und ins Bett. Die Müdigkeit hat mich unvorsichtig werden lassen, denn jetzt fällt mir wieder ein, dass die Stativ-Beine wegen der Dünen unterschiedlich weit ausgezogen waren und dadurch auf dem nun ebenen Untergrund der Schwerpunkt nicht mehr in der Mitte lag. Ich wollte jetzt einfach nur die Zeit zurück drehen um das Missgeschick ungeschehen zu machen und hatte innerlich aufgegeben.

Selbst Nordlichter waren mir egal. Laut Andy waren sie wohl wieder grandios, aber für mich ohne das Objektiv nicht angemessen in Szene zu setzen. Irgendwie passend zum Wetter verschlechterte sich meine Urlaubsstimmung. Bisher war alles grandios, jetzt war ich plötzlich wie am Boden zerstört. Es hätte ein weiterer Island Moment werden können, doch jetzt schmerzen die Umstände mehr, als die Insel für Versöhnung sorgen könnte. Erst zu hause entdecke ich, dass ein einziges Bild von Stokksnes doch noch präsentabel ist.